Die kleine Presseschau [Artikel frei verfügbar]
Es muß schon was passieren, wenn wir uns hier ausführlicher der Bild widmen. Aber wenn Putin sich mit Kai Diekmann & Nikolaus Blome trifft, dann hat sich Deutschland schon erheblich verändert.
Schauen wir doch mal auf die Steuerungsorgane der breiten öffentlichen Meinung und deren ausführende Designer. Genauer gesagt nach Sotschi, wo die Bild-Köpfe mit dem Mann gemütlich einen Tee tranken, den sie gestern noch als "Nuklearen Aufrüster" oder "Streubomben auf Zivilisten Werfer" bezeichneten. Denn laut Bild-Denke war noch vor 3 Wochen eines ganz klar:
Präsident Wladimir Putin (63) ist schon jetzt einer der größten Kriegsverbrecher in Syrien. [Bild - Artikel vom 15.12.2015]
Die Bild macht keine Nachrichten, dass ist auch nicht ihre Aufgabe. Die Bild aus dem Hause Axel Springer macht Meinung. Und nicht nur die der breiten Masse, die sich Zettel an den Ärmel tackern müssen, damit sie ihren eigenen Namen nicht vergessen. Bild ist auch der ungekrönte Leitwolf der deutschen Presselandschaft. Keine morgentliche Redaktionssitzung funktioniert ohne einen Blick in das, was die Kollegen der Bild gerade veröffentlichen. Ist ja auch vollkommen gleich, ob es stimmt oder ob nur mal wieder der nie nachweisbare schwedische Professor oder der Typ mit dem Katzen-Benzin herzitiert wird.
Kurz um, was Bild schreibt färbt medial ab. Und da haben Leute tatsächlich noch Vertrauen in eine 4. Macht im Staat - anderes Thema. Eine gewisse Macht hat die Bild schon, sie macht halt das, was man gerne von ihr sehen möchte. Passt ein Bundespräsident nicht mehr ins strategische Konzept - der Kai regelt das. Gibt es irgendeinen Präsidenten eines anderen Staates, der mal ordentlich mit Häme und wilden Anschuldigen zugekleistert werden muß - kein Problem, Kappelle hau raus. Und wenn man gestern den Leuten noch die Erde als Scheibe verkauft hat, heute aber eine quadratische Form benötigt - egal, was interessiert das Gewäsch von gestern.
Die Psychologie der Massen a la Gustave Le Bon zu verstehen ist das eine, viel wichtiger ist es, die Massen zu erreichen.
Das mit der Interviewreihe eine große mediale Kehrtwende eingeläutet wurde, ist a) kaum zu übersehen und b) unseren Hörern wohl auch keine Überraschung. Putin - gestern noch das Hassobjekt der etablierten Deutschen Medienlandschaft. Und heute der gern gesehene Interviewgast, dem man bereitwillig Raum gibt. Wie gesagt, dieser Vorgang ist soweit nicht wirklich eine Nachricht. 2 Umstände müssen aber näher beleuchtet werden.
01. Der Streit zwischen Berlin und Moskau
Wir haben es immer wieder geäußert, einfach weil es aus den Entwicklungen und Taten der Beteiligten heraus die logische Schlussfolgerung gewesen ist:
Der Streit zwischen Berlin und Moskau ist nicht echt! Ein erstklassiges Bühnenstück des Politikbetriebes. Gewiss gab bzw. gibt es Unstimmigkeiten. Immerhin weiß Berlin und Moskau, dass sie beide wegen der depperten Ukraine zu klein sind, zu klein waren. Und keiner von beiden wollte Kiew als Apparatschik von Washingtons Gnaden. Erinnert sei nur an das "Fuck you EU" von Victoria Nuland.
Das Vorpreschen der EU unter der Knute von Berlin gegen Moskaus Ukraine-Politik hat letztendlich Moskau einen Bärendienst erwiesen. Die USA sind vom Schlachtfeld Ukraine vertrieben. Die EU ist in eine Gegenposition zu Moskau getrieben worden, die sie nicht gewinnen kann, die auch nicht jeder Mitgliedsstaat einnehmen will. Folge: Zank, Streit, Schwächung und Spaltung. Und am Ende regeln die Frage über Kiew die eigentlichen 3 Kontinentalmächte Paris-Berlin-Moskau. Ihr historisch erstes gemeinsames Großprojekt ohne Fremdeinfluss von London oder Washington. Von daher nicht wundern, wenn es gefühlt etwas zaghaft oder langsam von Statten geht - es ist halt die erste Unternehmung in diesem Rahmen.
Bisher letztes Kapitel in dem angeblichen Berlin-Moskau Zwist: Die polnische National-Revolution. Russlandsanktionen und die wiederechtliche und eigenmächtige Aushebung des Dublin-Abkommens durch Berlin können definitiv als Wahlhelfer für Kaczinski betrachtet werden. Ergebnis: Und schon wieder wankt Washington; dies mal im Rückzugsgebiet des Ukraine-Schlachtfeldes. Und die EU erleidet schwere Breitseite gleich mit.
Und was sagt nun Putin über Merkel: "Ich schätze sie nach wie vor als sehr professionell und offen.“
Es ist unstrittig, dass Putin über Erdogan so einen Satz nie verlieren würde. Er würde so auch nicht Politiker charakterisieren, die weit weniger scharf gegen ihn ballern, wie derzeit der Kalif von Ankara. Letztlich zeigt doch Putin in dem Interview ganz klar und deutlich, mit wem er bereit ist zu reden. Die Abgesandten NATO - Lakaien bei der kommenden Sicherheitskonferenz sind es jedenfalls nicht. Schau an, was für eine Rückendeckung für Dr. Angela Merkel in dieser angespannten innenpolitischen Lage. Und damit sind wir schon beim nächsten Punkt.
02. Medien - die Mätresse des Politikbetriebes
Das alteingesessene Medienkonzerne wie die Bild nicht zu systemkristischen Presseorganen zählen, soll hier nicht diskutiert werden. Es ist auch vollkommen unerheblich, ob Systemtreue durch selbst geschaffene bzw. selbstauferlegte Naivität entsteht, quasi das Charakteristikum 'Lügenpresse' nicht aus Vorsatz sondern aus eigener Dummheit heraus oder ob Geld, Einfluss, Ideologie oder Käuflichkeit mit im Spiel ist. Das Ergebnis bleibt gleich: Gedruckte Realität ganz nach Gusto.
Soll nicht heißen, Kai Diekmann bekommt von Angie einen schwarzen Koffer mit Euros, damit er ab morgen ganz nett über den Wladimir schreibt. Ganz so profan wird es nicht sein.
Werfen wir nur mal einen Blick auf die verfilzten Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Parteien-Klüngel und Einflussnahme in die Programmräte, wohin das Auge blickt. Die einzigen, die die öffentlichen Anstalten als unhabhängig und staatsfern ausloben, sind die Sendeanstalten selbst. Soviel Vermessenheit hatte noch nicht mal die Aktuelle Kamera der DDR, aber da hat man Staatsferne auch nicht erwartet.
Und davon auszugehen, bei den alteingesessenen Printern sehe es anders aus, wäre an Gutgläubigkeit nicht zu toppen. Wenn der Alltagsbetrieb auf Vebindungen und Beziehungen in die politische Ebene fusst, dann ist es ganz normal, nicht täglich im Konfliktmodus zu agieren. Ohne Quellenzulieferung geht es halt nicht und auch eine Quelle funktioniert nicht immer ohne Gegenleistung. Und nicht nur die Presse kann sich eine Quelle zu nutze machen, umgekehrt funktioniert das auch. Vorerst bleibt es ein Rätsel, wie genau der Kontakt und der Sinneswandel im Schreibstil der Bild beim Themenkomplex Putin zu stande kam. Vorhanden ist er!
Und damit entsteht in Deutschland zum Jahreswechsel gleich ein zweites Paradoxon. Ausgerechnet die Bild bietet sich als Sperrspitze der Putinista-Bewegung an. Der Inbegriff der Systempresse liefert willfährig ein Interview mit Putin und das noch auf Augenhöhe, ganz ohne den sonst üblichen Veriss und den neurotischen Drang eine groteske Fratze zu zeichnen. Bleibt daher nur folgende logische Schlussfolgerung. Entweder die Bild ist gar nicht so systemnah, wie immer angenommen und vorgeworfen (der Schreiber muss grad heftig husten). Andere Möglichkeit, wenn der Vorwurf der politischen Systemnähe bei der Bild zutrifft, dann ist Berlin gegenüber Moskau gar nicht so übellaunig eingestellt? Entscheiden sie einfach selbst.
Beim geführten Interview ist es auch nebenrangig, ob die goldene Wahrheit und der Weisheit letzter Schluss aus dem Munde das Zaren kommt. Einzig entscheidend ist der Umstand, dass der breiten deutschen Öffentlichkeit ein ganz neues Kapitel in Sachen Putin präsentiert wird. Und das ist definitiv zu begrüßen. Kann ja nicht angehen, dass man nur hinter verschlossenen Türen sich gegenseitig auf die Schulter klopft und Wuffi den Kopf streichelt.
Aber wie kündigte es Dr. Angela Merkel an: Deutschland wird sich verändern.